Claudio Puntin im Live-Stream
Das Konzert von Claudio Puntins Trio Freigeist gibt es auch als Live-Stream. Hier ist der Link dazu. Für 12 € können sie dafür ein Ticket erwerben.
FREIGEIST
Claudio Puntin – A-Klarinette
Kristjan Randalu – Piano
Jörg Brinkmann – Violoncello
PROGRAMM:
Kristjan Randalu: Valse hésitante
Claudio Puntin: Eichen und Weiden (UA)
Jörg Brinkmann: Rain no play (UA)
Johannes Brahms: Trio op. 114
Kristjan Randalu: Absence (EA)
Kristjan Randalu: Stiller Beobachter
Claudio Puntin: Sog
Als Johannes Brahms für seinen Freund, den Klarinettisten Richard Mühlfeld die beiden Klarinetten Sonaten, das Quintett und das Trio op.114 komponierte, tat er dies im Bewusstsein des grossen Klarinettensounds Mühlfelds, und er wusste natürlich auch von dessen grossem Vibrato. Der Violaspieler des Josef Joachim Quartetts, der zu dieser Zeit mit Mühlfeld zusammen Brahms Klarinettenquintett aufführte, berichtete: „Er besass ein grosses Vibrato, viel mehr als Joachim und soviel wie der Cellist“.
Tatsächlich ist das Vibrato auf der Klarinette in der klassischen Kammermusik- und Orchester-Speilweise bis heute selten. Der große Jack Brymer (ex-Solo Klarinettist des London Symphony Orchestra) schreibt in seinem Klarinettenbuch: „Und natürlich würde kein Geiger eine Brahms Sonate senza vibrato anbieten. Dennoch gibt es viele tausend Klarinettisten, die neben einem solchen Interpreten auftreten und sich mit erhabener Ausdruckslosigkeit durch die Es-Dur Sonate rackern würden.“
Seit meiner Kindheit sind mir diese Anekdoten eingebrannt, ich nahm sie gerne auf in mein Credo, dass weder Stilistik noch Spielarten dogmatisch sein können wenn es um das Wesen von Musik geht. Das Freigeist Leben begann, ich fühlte mich von jedem Ausdruck musikalischer Ehrlichkeit, die der Mensch schafft, bewegt. Es hat mich nie verwundert, Dinge zusammenzubringen die von Natur aus schienen zusammen zu gehören. Vibrato schien mir natürlich, der Stimme nahe, Groove schien mir natürlich als Teil von Bewegung und Tanz. Genau so wie die Platzierung eines nicht auf dem downbeat liegenden Achtels innerhalb der Timeline, er hat seine genau definierte Stelle wo er hingehört. So natürlich wie in der Sprache ist der Achtel eine Silbe, mit ihrer Phrasierung, akzentuiert oder ge-ghostet. Fremdsprache oder Muttersprache?
So fiel mir als junger Musikschüler auf, wenn im klassischen Konzert der/die Solist*in es „wagte“, die Zugabe aus einer Musikwelt auszuleihen die ihm/ihr fremd ist, passt nichts mehr wirklich aufeinander, die Sprache wurde nicht gesprochen. Ich lernte, musikalisch lügen geht nicht.
Auch lernte ich, dass im Gegensatz zur alten Musik, zum Jazz und anderer improvisierten Musik, Improvisation kaum Teil der europäischen Kunstmusik ist, wo doch beispielsweise der Platz einer Kadenz im Solo-Konzert genau den Raum für die Symbiose des Ausdrucks zwischen der Vergangenheit der Komposition und der Gegenwart der Aufführung bietet, und ausserdem, erwächst jede Komposition aus Improvisation. Improvisation ist das Zulassen von Möglichkeiten im Jetzt.
So habe ich mich entschieden für das Projekt „Freigeist“ zwei gute Freunde einzuladen, deren Wurzeln ebenso tief in der europäischen klassischen Tradition, Komposition, als auch in freier und harmonisch/rhythmischer Improvisation verankert sind, so ist ihnen auch ein selbstverständliches Groove-Bewusstsein eigen. Kristjan Randalu und Jörg Brinkmann repräsentieren diesen seltenen Typus musikalischen Freigeistes, die allumfassende Welt der Musik umarmend. Wir alle drei haben die Welt musikalisch bereist, viele Kulturen kennengelernt und mit Musiker*innen aller Provenienz gespielt und von ihnen gelernt. Diese
Hingabe ist uns zum Alltag geworden.
So werden wir eigene, hierfür komponierte Werke mit dem Trio von Johannes Brahms vereinen, denn was ist spannender als zu entdecken, was die wirkliche musikalische Aussage von Musiker*innen auf der Bühne ist? In dieser Konstellation das Brahms-Trio op 114 zu erleben öffnet die Komposition einem neuen Zuhören und ist eine höchst interessante Angelegenheit, die selbst aus der Brahmsschen Partitur bisher kaum wahrgenommene Möglichkeiten hörbar macht.
Die Bandbreite des Kammermusik-Repertoires ist gross, um diese etwas zu kondensieren habe ich mich entschlossen, den Fokus auf kammermusikalische Werke mit Klarinette in A einzuengen. Aus Werken von Brahms, Reger, Stravinsky, Schumann, Mozart u. a. habe ich das berühmte Trio op 114 herausgesucht, welches Brahms 1892 fertig stellte. Dafür habe ich in den letzten 3 Jahren mit dem Instrumentenbauer Frank Hammerschmidt aus Burgau zusammengearbeitet und ein neues Instrument konzipiert. Passend zum Freigeist-Charakter des Gesamtkonzepts ist so eine A-Klarinette entstanden, die aus der Deutschen-, Französischen- und Wiener Klarinetten-Tradition schöpft. Die physikalischen und klanglichen Eigenschaften der einzelnen Traditionen wurden zu einem idealen neuen Instrument in Klarinettenform vereint. Dieses Instrument erlebt hier also seine Weltpremiere!
Seit meiner Jugend habe ich mir diesen Klang vorgestellt, nun ist er hörbar geworden und passt perfekt zum Konzept dieses Konzertes. In einer weiteren Edition dieses Projektes werde ich, wiederum in Zusammenarbeit mit dem Sendesaal Bremen, weitere Meilensteine der Literatur für A-Klarinette aufnehmen, unter anderem Mozarts Klarinettenquintett KV 581.
(Claudio Puntin)